BesucherInnenrekord beim 3. ISA Forum in Wien

4500 Soziologinnen und Soziologen aus 126 Länder besuchten vom 10. bis 14. Juli 2016 an der Universität Wien das dritte und bisher größte ISA Forum of Sociology. Das Thema des fünftägigen Forums „The Futures We Want: Global Sociology and the Struggles for a Better World“ wurde in fünf Plenarsitzungen und 750 Sessions von internationalen Expertinnen und Experten diskutiert.

Foto: Benjamin Fritz

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Foto: Karl Valent

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Die International Sociological Association (ISA) gibt zwischen den beiden Weltkongressen, die alle vier Jahre stattfinden, ihren Forschungsgruppen die Möglichkeit zu einem Zwischentreffen, in dem die ISA Mitglieder ihre aktuelle Forschung präsentieren und diskutieren. Nach Barcelona (2008) und Buenos Aires (2012) war es Rudolf Richter, Vorsitzender des lokalen Organisationskomitees, gelungen, das Forum nach Wien zu holen. Mit 4500 Gästen war es das mit Abstand größte ISA Forum bisher. Ida Seljeskog zeichnete für die Gesamtkoordination verantwortlich.

Studierende der Soziologie, koordiniert von Hannah Quinz vom Institut für Soziologie, sorgten für eine reibungslose Gäste- und Technikbetreuung. Das aus fünf Gruppen bestehende „Student Organizing Committee“ widmete sich im Rahmen einer Lehrveranstaltung am Institut mehreren Teilbereichen der Organisation. Die Materialiengruppe organisierte die bei den Gästen sehr beliebten Wasserflaschen mit dem Slogan „Free Drinking Water for Everyone“ und wies damit auf die Trinkbarkeit des Wiener Wassers hin. Zusätzlich organisierte die Gruppe praktische Lagepläne mit einer Übersicht über Cafés und Restaurants in Uni-Nähe, sowie Fächer. Die Social-Program-Gruppe plante Freizeitangebote mit über zehn sozialen Aktivitäten für Gäste und betreute diese persönlich. Die TeilnehmerInnen konnten die lokale Wiener Kultur durch Kaffeehausbesuche, einem Wiener Walzerkurs oder einem Ausflug zum Heurigen kennenlernen; sportliche Gäste konnten die Stadt laufend besichtigen oder an einem Beachvolleyballtournier teilnehmen. Ebenso wurden Führungen zum „Roten Wien“ sowie zum Museum in Marienthal angeboten. Die Pressegruppe verfasste die Presseaussendung, twitterte live, koordinierte Interviewtermine und begleitete die PressevertreterInnen vor Ort. Der ORF widmete dem Forum eine Sendung der Sendereihe „Dimensionen- aus der Welt der Wissenschaft“, auch ein Interview mit Michael Burawoy ist nachzulesen. Die Mitglieder der Infotischgruppe waren an den drei Standorten erste Ansprechpersonen für Gästeanfragen aller Art. Die Rekrutierungsgruppe rekrutierte 150 Volunteers, teilte diese ein und sorgte somit für die persönliche Betreuung bei allen 750 Sessions. Täglich erhielten die Veranstalter Lob für die Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit der Freiwilligen: Eine großartige Präsentation der Soziologiestudierenden der Universität Wien in einem internationalen Forum.

Foto: Karl Valent

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In den 750 Sessions behandelten die Forschungsgruppen ihre Themen, von Armut bis Zivilgesellschaft. In fünf Plenarveranstaltungen wurde aus weltweiter Perspektive die „Zukünfte“, die Soziologinnen und Soziologen wollen diskutiert.

In ihrer Eröffnungsrede betonte ISA Präsidentin Margaret Abraham die Verantwortung der Soziologie, soziologisches Wissen öffentlich zugänglich zu machen. Die Soziologie darf den heutigen humanitären Krisen und politischen Konflikte nicht kommentarlos und handlungslos zuschauen; bei Ungerechtigkeit zu schweigen würde heißen, dass man diese duldet. Soziologinnen und Soziologen haben die Verantwortung, ihr Wissen mit der Öffentlichkeit zu teilen und sich zu aktuellen gesellschaftlichen Ereignisse zu äußern.

Das Forumsthema „The Futures We Want“ wurde im Eröffnungsplenary, geleitet von Michel Wieviorka, von Markus Schulz, Saskia Sassen, Jan P. Nederveen Pieterse, Stephan Lessenich und Nora Garita Bonilla mit einem Schwerpunkt auf die Krisen der Wirtschaft und steigende soziale globale Ungleichheit angegangen.

Foto: Karl Valent

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Die Plenarsitzung am Montag, den 11. Juli, moderiert von Brigitte Aulenbacher (Johannes Kepler Universität Linz), fand als Diskussion zum Thema „Facing the Multiple Crises in Europe and Beyond" statt. Für Michael Burawoy (University of California, Berkeley), bekannt für seine Thesen zu „Public Sociology“, müsse die Soziologie die lebensweltlichen Probleme aus systematischer Perspektive lösen. Mit ihm am Podium diskutierten der deutsche Soziologe Klaus Dörre (Universität Jena), Maria Markantonatou (University of the Aegean), Annamaria Simonazzi (University of Roma) und Beate Littig (IHS) zur Kapitalismustheorie, zu flexiblen und prekären Beschäftigungsverhältnissen, sowie zur Wachstumskritik. Josef Weidenholzer, Abgeordneter des Europäischen Parlaments brachte die europäisch-politische Perspektive ein.

Am Dienstag, den 12. Juli stand das Thema "Overcoming Boundaries and Polarizations between Centers and Peripheries" im Zentrum der Diskussion. Manuela Boatca von der Freien Universität Berlin argumentierte, dass Staatsbürgerschaft als Institution auf der gesetzlichen, sozialen, politischen und physischen Exklusion von nicht-europäischen, nicht-weißen und nicht-westlichen Bevölkerungen beruht. Die ungerechte Verteilung von Staatsbürgerschaftsrechten werde heute immer noch reproduziert, indem reiche Investoren die Möglichkeit haben, sich diese Rechte zu erkaufen, während ArbeitsmigrantInnen, die dieselben Rechte erstreben, kriminalisiert werden. Soziale Polarisierung und Prekariat wurden von Ursula Holtgrewe (Zentrum für Soziale Innovation) und Benjamin Tejerina (University of the Basque Country) in ihren Vorträgen behandelt.

Foto: Karl Valent

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"Sociological Thought and the Struggle for a Better World" war am Mittwoch, den 13. Juli das Thema. ExpertInnen diskutierten die Frage, ob und inwiefern soziologisches Gedankengut zu einer positiven Entwicklung der Weltzukunft beitragen kann. Keynote speaker waren die brasilianische Soziologin Celi Scalon, die über Globalisierung und die Notwendigkeit transnationaler Studien referierte, Margareta Bertilsson (University of Copenhagen) betonte die Wichtigkeit lokaler Spezifika und brachte eine soziologisch-anthropologische Perspektive ein. Gertrude Mikl-Horke (Wirtschaftsuniversität Wien) hob die Leistungen der österreichischen Soziologie und Wirtschaftstheorie der Zwischenkriegszeit und ihren weltweiten Einfluss hervor, und Dieter Bögenhold (Alpen-Adria-University Klagenfurt) zeigte den Beitrag soziologischen Denkens zur Lösung von sozialen Problemen auf.

Als Speaker der abschließenden Plenary Session am Donnerstag legte Asef Bayat von der University of Illinois das Augenmerk auf die Bedeutung des Islams in der heutigen Zeit und lotete dessen demokratische Möglichkeiten aus. Akosua Adomako Ampofo von der University of Ghana kritisierte den Euro-Zentrismus in der Wissenschaft und plädierte für einen Zugang zu Wissensproduktion, bei dem marginalisierte Stimmen gehört und bestehende Hegemonien hinterfragt werden. Todd Gittlin (Columbia University) zeigte die sozialen Konsequenzen des Klimawandels auf, Emma Porio (Ateneo de Manila University) gab einen Überblick über soziologische Antwortmöglichkeiten auf globale Risiken und Belastbarkeit. Kommentiert wurden die Beiträge vom renommierten französischen Soziologen Alain Touraine (Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales, Paris), der wiederholt die Notwendigkeit der Trennung von Religion und Politik für eine demokratische Gesellschaft betonte.

Foto: Benjamin Fritz

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Zum Abschluss des Forums wurde am Donnerstagabend gebührend gefeiert. Die Abschiedsparty wurde aufgrund einer Sturmwarnung kurzfristig vom Arkadenhof in die Innenräume des Hauptgebäudes verlegt, was aber der Stimmung nichts antun konnte. Die Band Ost in Translation brachte die Forumsgäste im kleinen Festsaal zum Tanzen, im angrenzenden Senatssaal schenkten Winzer aus Bisamberg ihre Weine zur Verkostung aus. In den neuen BIG Sälen unterhielt eine DJ die Gäste bis in die frühen Morgenstunden.

Nachdem sich die Soziologinnen und Soziologen mit ihren Forschungsarbeiten auseinandergesetzt, die Brauchbarkeit von Theorien diskutiert, Methodenpluralität vorgeführt und empirisch den Beitrag der Soziologie zu einer humanen Zukunft aufgezeigt hatten, gab es einen entspannenden Abschluss: Der Kongress tanzte!

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