Goldenes Ehrenzeichen der Stadt Wien für Christoph Reinprecht

ao. Univ.-Prof. Mag. Dr. Christoph Reinprecht

Ehrenzeichenverleihung 27.10.2016: Prof. C. Reinprecht, Stadtrat M. Ludwig. Foto: D. Lipp

Ehrenzeichenverleihung 27.10.2016: Prof. C. Reinprecht, Stadtrat M. Ludwig. Foto: D. Lipp

Die Stadt Wien zeichnet Christoph Reinprecht mit dem goldenen Ehrenzeichen für seine grundlegenden Forschungen zum Wandel Wiens aus. Seine umfangreichen wissenschaftlichen Arbeiten verbinden Analysen der vielschichtigen Transformationen des städtischen Lebensraums mit dem Ziel, Wissen in praktischer Absicht zu generieren – ein Ziel, das die aktive Stadtpolitik mit der Wissenschaft und der partizipativen Teilhabe der BewohnerInnen verbindet. Die „Soziologie Wiens“ befasst sich mit der Entwicklung der Stadt aus verschiedenen Perspektiven und methodischen Zugängen. Es werden die Transformationen urbanen Lebens und soziokultureller Räume unter dem Einfluss der baulichen Verdichtung und Arbeitsmigration sichtbar; in einer sozialen Geografie wird die Verräumlichung sozialer Ungleichheiten und kultureller Exklusion nachgezeichnet. Die Forschungen stellen praktische Ziele wie soziale und ökologische Nachhaltigkeit, Lebensqualität und soziale Sicherheit vor dem Hintergrund des „Standortwettbewerbs“, der Ökonomisierung und Verschärfung von Ungleichheit in den Fokus.

Christoph Reinprecht promovierte 1994 an der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien mit einer gedächtnissoziologischen Studie zur Rolle des Erinnerns bei der gesellschaftlichen Transformation in Ostmitteleuropa, 2006 habilitierte er sich an der Universität Wien für das Fach Soziologie mit der in verschiedensten wissenschaftlichen Disziplinen und in der politischen Praxis viel beachteten Publikation „Nach der Gastarbeit“. In dieser werden die Lebensverhältnisse der in Wien „alt gewordenen“, hier gebliebenen ZuwanderInnen der ersten sogenannten „GastarbeiterInnen“-Generation erstmals ausführlich dokumentiert.

Anschließende Forschungen knüpfen an dem Themenfeld kulturelle Diversität sowie veränderte Bedürfnisse und Kontexte sozialpolitischer Aktivitäten in der städtischen Bevölkerung an (z.B. in den Bereichen Gesundheit, Alter und Pflege, Erwachsenenbildung u.a.). Im Blickpunkt stehen die Veränderungen, die der Stadt heute ihre Prägung geben und Spannungen erzeugen: zwischen Traditionen des „sozialen Wohnbaus“, dem Leben in traditionellen Arbeiter- oder Zuwanderungsgebieten und den Tendenzen von Metropolitanisierung und Gentrifizierung. Die Analysen widmen sich der Aufgabe, für sozialpolitische Akteure und Institutionen Grundlagen und praktisches Wissen für planerisches Handeln zur Verfügung zu stellen. Auf exemplarische Weise vereint die jüngst von Christoph Reinprecht präsentierte Forschung zur Besiedlung im größten Wiener Stadtentwicklungsgebiet Aspern diese Zielsetzung aktiver und partizipativer Sozialforschung, indem der Besiedelungsprozess aus verschiedenen methodischen Blickwinkeln sowie unter Einbeziehung der neuen BewohnerInnen beobachtet wurde.

Dass die Stadt nicht nur ein Siedlungsraum ist, sondern auch ein soziokultureller Raum und ein Ort des (umkämpften) Erinnerns, ist eine Thematik, die Christoph Reinprecht immer wieder in seinen Untersuchungen aufgreift (er legte neben den stadtsoziologischen Forschungen zudem umfangreiche Studien zum kollektiven Gedächtnis in ost-mitteleuropäischen Ländern vor). In dem Projekt „Mémoires de passeurs, passeurs de mémoires. Lieux, temps et formes de la transmission et de l’oubli“ („Orte, Zeiten und Formen der Weitergabe und des Vergessens“) befassen sich ForscherInnen aus Frankreich, Dänemark, den USA, Tschechien und Österreich mit Formen des Erinnerns im urbanen Raum und stellen diesen als Erinnerungsort – Wien als (verdrängter) Ort der Shoa – dar.

Migration und Diversität, kultureller und sozialstruktureller Wandel sind die zentralen Themen, mit denen sich Christoph Reinprecht sowohl in inneruniversitären Vernetzungsprojekten – wie dem Initiativkolleg „Empowerment Through Human Right“, der Forschungsplattform „Migration and Integration Research“ – als auch in internationalen Forschungskooperationen, etwa im Rahmen des „European Network of Housing Research“, beschäftigt. In letzteren arbeitet Reinprecht die spezifischen Charakteristika Wiens hervor, etwa hinsichtlich des sozialen Wohnbaus, sozialer Milieubildung, Nachbarschaft, Anpassung an und auch „Widerständigkeit“ gegen Gentrifizierungsprozesse.

Christoph Reinprecht ist assoziierter Wissenschaftler am „Centre de Recherche sur l'Habitat“ des „Laboratoire Architecture Ville Urbanisme Environnement“ (LAVUE) in Paris. Er war wiederholt Gastprofessor an der Universität Paris VIII Vincennes-Saint Denis, mit dessen soziologischem Institut eine enge Kooperation zur Förderung der studentischen Mobilität besteht. Studierende des Instituts für Soziologie und anderer sozialwissenschaftlicher Fächer werden in ihrer Ausbildung in die Forschungsprojekte einbezogen, was sich u.a. an den zahlreichen Masterarbeiten und Dissertationen manifestiert. In Kooperation mit ExpertInnen und PraktikerInnen werden die Studierenden mit dem großen Potential soziologischer Methoden vertraut, das - exemplarisch in der stadtsoziologischen Forschung - die Basis für eine aktive partizipative Interventionsforschung ist.

 

Das Institut für Soziologie gratuliert Christoph Reinprecht herzlich zur Ehrung der Stadt Wien. Wir freuen uns über die Anerkennung seines großen wissenschaftlichen Engagements und dessen Bedeutung zur Bewältigung der gesellschaftlichen Herausforderungen in der Stadt Wien.

Hilde Weiss im Namen des Instituts für Soziologie
Die Verleihung fand am 27. Oktober 2016 statt.

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